Im letzten Beitrag stellte ich den ersten Teil der Theorie hinter der lernenden Organisation dar. In diesem Teil vervollständige ich die Theorie mit den Disziplinen »Shared Vision«, »Team Learning« und »Systemes Thinking«. Ihr erhaltet damit einen Überblick über das Konzept der lernenden Organisation.
Die Gemeinsame Vision als Leitbild in Organisationen
Eine leider noch verbreitete Meinung in Organisationen ist es, dass die Motivation der Mitarbeiter durch extrinsische Faktoren wie Arbeitsentgelt, Prämien oder dem eigenen Firmenwagen gesteigert werden kann. Insbesondere die großen multinationalen Konzerne haben begriffen, dass ihre Mitarbeiter nicht mehr mit den alten Methoden wie Geld oder Firmenwagen motiviert werden können. Eine Lösung, um motivierende Faktoren zu generieren, bietet die Schaffung einer Vision. Mit dieser wird Aufmerksamkeit bei den Mitarbeitern erzeugt, wodurch Energien der Organisation gebündelt werden, um eine glaubhafte und attraktive Zukunft zu entwerfen . Diese Vision oder Ideologie muss jedoch konsistent sein. Wenn sie ständig relativiert und neu ausgerichtet wird oder die Organisationsziele sich häufig wandeln, werden die Mitarbeiter eher mit Zynismus auf die aufgestellte Vision reagieren .
Die Vision als Schreckgespenst oder als Hoffnung?
Wenn sich das Unternehmen entscheidet eine Vision für die Mitarbeitermotivation aufzustellen, gibt es zwei grundlegende Arten der Gestaltung. Durch Furcht oder durch Hoffnung. Negative Visionen schöpfen ihr Potenzial aus der Furcht und können kurzfristig außergewöhnliche Veränderungen bewirken. Ob mit dieser Furcht alle Schichten der Mitarbeiter motiviert werden, ist jedoch fraglich. Hoffnung ist hingegen die Triebfeder von positiven Visionen, welche eine Quelle für das Lernen, Wachstum und ein höheres Ziel sein können. Die bevorzugte positive Vision erzeugt beim Menschen ein hoffnungsvolles Gefühl, welches zur Motivation und Bindung an das Unternehmen führt. Allerdings ist die Vision so auszuführen, dass der Zweck der Vision erkennbar und zu einem Leitstern für alle Mitarbeiter wird. Eine lernende Organisation lässt sich ohne diese gemeinsame Vision nicht realisieren. Ohne die Anziehungskraft eines Ziels werden die Kräfte, die auf eine Erhaltung des Status quo bedacht sind, übermächtig. Ein Ziel der Aufstellung dieser gemeinsamen Vision ist es, dass sich viele Menschen wahrhaft diesem Leitgedanken verschreiben. Wenn Menschen die Vision teilen, fühlen sie sich einander verbunden und durch ein gemeinsames Ziel vereint, da sie ihre eigene persönliche Vision widerspiegelt. Mit der belebenden Wirkung der Vision kann der Funke der Begeisterung erzeugt werden. Dieser führt dazu, dass die konservativen Kräfte innerhalb des Unternehmens den Status quo überdenken. Das Unternehmen kann sich somit aus dem Profanen herausheben .
Das attraktive Bild einer Vision
Der Leitgedanke einer Vision kann mittels der Fragen »Was«, »Warum« und »Wie« ausgedrückt werden. Das »Was« kann als das Bild der Zukunft beschrieben werden, welches erreicht werden soll. Mit dem »Warum« lässt sich der Sinn der Existenz des Unternehmens erfassen. Die Kenntnis über den umfassenden Zweck der Organisation kann als ein starker Motivator für die Mitglieder der Organisation wirken. Das »Wie« beschreibt die Art und Weise, wie das Unternehmen den Zweck oder genauer gesagt die Mission verwirklicht. Dieses kann mit einer Auswahl von festgelegten Grundwerten für das Unternehmen erfolgen. Mögliche Werte, die eine Vision prägen, können Offenheit, Integrität, Chancengleichheit, Loyalität oder ähnliche Grundwerte sein. Daraus ergibt sich ein bildhaftes, glaubwürdiges und attraktives Bild der Zukunft des Unternehmens, welches eine anzustrebende Richtung gen Zukunft weist.
Diese Vision inspiriert das Unternehmen inkl. der Mitarbeiter gemeinsam in die angegebene Richtung zu denken, zu fühlen und zu handeln. Mit der Vision wird die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter gefördert und sie bekommen die Möglichkeit, den Sinn der eignen Arbeit zu realisieren . Mit Hilfe der Vision können zusätzlich alle Schichten und Altersstrukturen eines Unternehmens erreicht werden. Das generative Lernen wird gefördert und nicht nur von kurzfristigen Ereignissen bestimmt. Durch die Vision ist jedem innerhalb des Unternehmens bekannt, dass die Gestaltung der Zukunft, nur durch kontinuierliches Lernen und dem Streben nach Wissen gelingen kann.
Das Lernen im Team als Erfolgsfaktor
In jeder Organisation arbeiten formelle Teams an täglichen Aufgaben und neuen Problemstellungen. Innerhalb eines Teams entstehen die Strukturen jedoch meist informell, basierend auf der jeweiligen sozialen Dynamik des Teams. In Teams führt derjenige, der die höchste Motivation, die meiste Kompetenz oder den besten Durchblick mitbringt, wobei sich die informelle Führung innerhalb eines Projekts oder von Projekt zu Projekt ändern kann .
Ein Team entwickelt sich innerhalb einer Organisation und wächst mit der Zeit und den Herausforderungen, die es gestellt bekommt:
„Das Team, das etwas Großartiges leistete, war nicht von Anfang an großartig, es hat gelernt, außergewöhnliche Ergebnisse zu erzielen“ .
Um ein Team zusammenzuführen und zu einem dauerhaft lernenden Team zu entwickeln, sind im Team die mentalen Blockaden zu beheben. Ein Team welches häufig Routineaufgaben erledigt, kann dem Lernen nichts mehr abgewinnen und neigt dazu etwas zu tun, weil das Team es schon immer so getan hat. Dieses Team reagiert kaum flexibel auf neue Herausforderungen. Einen Schritt zurückzutreten und einen weitergefassten Sinn in den Zusammenhängen der Aufgabe zu sehen, muss diesem Team erst (wieder) beigebracht werden.
Innerhalb dieses bzw. eines jeden Lernprozesses kommt es dabei zu Fehlern, aus denen gelernt werden muss. Mit den Fehlern konstruktiv umzugehen und diese zu nutzen statt zu verleugnen ist in vielen Organisationen bereits angekommen. Damit aus den Fehlern keine wirtschaftlichen Schäden entstehen, wird versucht diese in Probeläufen zu minimieren. Da jeder bestrebt ist, Fehler bei der Einführung von neuen Prozessen zu vermeiden, kann der Probelauf der Prozesse dazu führen, eigene Fehler früher zu erkennen und dem Team die Möglichkeit geben, daraus zu lernen.
Teams benötigen eine Sandbox
Als wahrscheinlicher Grund warum Teams, vor allem Managementteams, keine effektiven Lerneinheiten bilden, kann das fast vollständige Fehlen bedeutungsvoller Übungs- oder Probemöglichkeiten angesehen werden . Ein Nachbearbeiten der eigenen Erfahrungen und das Lernen aus den Erfahrungen anderer Teams ist für manche Teammitglieder nicht effektiv bzw. zu zeitaufwendig. Dazu fällt es nach Schank und Childers schwer, sich auf passive Weise Wissen anzueignen. Etwas aktiv zu erfahren ist erheblich wertvoller für sich selbst und das Team als es beschrieben zu bekommen. Es zeigt sich somit, dass eine offene Fehlerkultur und die Möglichkeit eines Probelaufs für das Teamlernen einen positiven Effekt haben kann. Jeder hat die Möglichkeit, Fehler konstruktiv selbst zu erleben, was einen individuellen Lernprozess unterstützen kann.
Diskussion oder Dialog?
Nicht nur die Fehlerkultur ist Bestandteil eines lernenden Teams, auch die Konfliktfähigkeit und Kommunikationsfähigkeit sind Teile von effektiven Teams. Im Gegensatz zu einem verbreiteten Mythos zeichnen sich gute Teams nicht durch die Abwesenheit von Konflikten aus. Das Gegenteil ist der Fall. Ein erkennbarer Ideenkonflikt kann in herausragenden Teams zu produktiven Leistungen führen, bei denen sich die einzelnen Ideen gegenseitig beflügeln. Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist die gegenseitige Bereitschaft sich einander als gleichberechtigt zu betrachten. Dazu gehört auch das Erkennen im Team, wann es eine Diskussion und wann es einen Dialog führt. Wenn ein Teammitglied seine eigenen Annahmen nicht aufgeben kann, müssen die Teammitglieder erkennen, dass dies eine Diskussion ist. Bei einem Dialog hingegen sind alle Teilnehmer offen für Neues und stellen ihre eigenen Annahmen in Frage. Die erfolgreiche Synergie von Dialog und Diskussion führt zu einem weiteren Schritt für ein gemeinsam lernendes Team . Wie allerdings der Lernprozess eines Teams bei einem neuen Produkt oder einem neuen Prozess vonstattengeht, ist von Team zu Team unterschiedlich. Ein großer Einflussfaktor ist die Unternehmenskultur und der entsprechende Teamleiter, der kommunikativ das Team zusammenhält.
Feedback-Loop als Teaminstrument
Einen möglichen Lernprozess für die Entwicklung von Produkten, Prozessen und neuen Aufgaben stellt Eric Ries in seinem Buch „Lean Startup“ vor. Mittels des Feedback-Loops aus »bauen«, »messen«, »lernen« wird ein kooperativ lernendes Team erzeugt. Hierbei wird eine Idee zu einem Produkt bzw. Prototyp umgewandelt (bauen). Dieser Prototyp wird mittels der positiven und negativen Reaktionen der Stakeholder analysiert (messen) und die herausgefundenen Erkenntnisse werden für eine Verbesserung der Idee bzw. des Prototypen verwendet (lernen). Der nächste Loop startet mit dem Bau eines aktualisierten Prototyps anhand der gelernten Ergebnisse. Diese Art von Lernen stößt nicht sofort bei allen auf Anklang, da ein hohes Maß an Sorgfalt und Genauigkeit besonders wichtig ist. Die Mitarbeiter müssen disziplinierter denken und den Details mehr Aufmerksamkeit schenken. Die unaufhörliche Frage „Woher wissen wir, dass das richtig ist?“ beschäftigt dabei fortlaufend die Teammitglieder. Das Vorstoßen zu den eigentlichen Hintergründen einer Thematik und nicht nur das Beachten der augenscheinlichen Symptome ist der wichtige Prozess, der im Team erlernt werden muss und nicht von jedem sofort beherrscht werden kann. Ein Zurückfallen in die schlichte Beobachtung der augenscheinlichen Symptome kann zu einer Stagnierung des Lernprozesses führen . Die gemeinsame Reflexion über das Lernen und der Dialog über die Systeme ist daher wichtig für ein kontinuierlich hervorragendes Team.
Reflexion bedeutet jedoch nicht, dass alle Teammitglieder in allen Punkten Einigkeit erzielen. Das Ziel ist es, ein gemeinsames Verständnis für die Problematik zu erhalten und sicherzustellen, dass sich alle an die im Team beschlossene Vorgehensweise gebunden fühlen . Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass innerhalb des Teams diese Reflexion ritualisiert wird, z. B. bei einem täglichen/wöchentlichen Teammeeting. Wenn das Team nicht nur aus uneinsichtigen Einzelkämpfern, sondern eine reflektive, lern- und dialogfähige Arbeitsweise entwickelt, stellt sich ein „Wir-Gefühl“ ein, welches die größten Hindernisse überwinden kann. Das Team lernt sich ständig weiterzuentwickeln und erkennt, dass der Einzelne gemeinsam stärker und intelligenter ist. Das Berliner WeQ Institut drückt dies in ihren Slogan aus: „WeQ More than IQ“.
Mit der Disziplin Systemdenken die Strukturen begreifen
Unternehmen und Organisationen sind Gebilde mit einem mehr oder weniger ausgeprägten Hierarchiesystem. Dieses System versetzt ein Unternehmen in die Lage, mit einem hohen Maß an Komplexität umzugehen. Die Hierarchieebenen teilen sich in Subsysteme des Unternehmens auf, die miteinander kommunizieren und agieren . Innerhalb der einzelnen Subsysteme werden Lösungen entwickelt, die dem Unternehmen zur Verfügung stehen. Das Unternehmen kann aus diesen Subsystemen eine Lösungssammlung generieren und in verschiedene Projekte integrieren. Bei ähnlichen Projekten kann die Lösungssammlung wieder aufgegriffen und verwertet werden .
Wie versteht man das System?
Mit dem Systemdenken innerhalb der lernenden Organisation wird eine übergeordnete Denkweise, Sprache und ein Überblick entwickelt. Mit diesen Elementen kann man die Kräfte und Wechselsysteme in den Unternehmenssystemen, wie z. B. die beschriebene Hierarchiestruktur, aber auch technische Systeme und Prozesse begreifen und nutzen. Es wird dadurch möglich, das Verhalten des Systems zu steuern und Systeme effektiver und in größerer Übereinstimmung mit übergreifenden Prozessen der Umwelt und der Wirtschaft zu verändern .
Das vorzeigeunternehmen Xerox hat für ein erweitertes Systemdenken Teams gegründet, welche die erste Auslieferung eines Produkts begleiten und genau den Weg verfolgen, den das Produkt beim Kunden und in dessen Fertigungsstraße nimmt. So lernen die Teams, das komplexe System des Produkts zu verstehen, und können übergreifende Ideen für Verbesserungen in Systemen oder Produkten entwickeln. Mit einer Kultureinstellung eines offenen, aufmerksamen Zuhörens auf die Bedürfnisse der eigenen Systeme, aber auch auf die Systeme des Kunden, lässt sich somit nicht nur mitarbeiterindividuelles Wissen, sondern auch Wissen für das Unternehmen generieren. Durch eine Vielzahl von Maßnahmen wie mündliche, schriftliche und Bildberichte, Job Rotation oder Trainingsprogramme kann dieses Systemwissen über das Produkt im gesamten Unternehmen gefestigt werden .
Tiefere Einblicke in die Systeme gibt ein weiterer Vorreiter für das Systemdenken und das Lernen aus den Erkenntnissen. Toyota hat das eigene Produktionssystem analysiert und festgestellt, dass das sofortige Abstellen eines Fehlers in der Produktionslinie die Qualität und die Produktion positiv beeinflusst. Die Mitarbeiter in der Produktionslinie stoppen bei einem festgestellten Fehler sofort die Produktion mit einer Reißleine. Das verantwortliche Team für den Produktionsabschnitt macht sich auf die Suche nach der Problemursache und löst diese. Währenddessen werden keine weiteren Änderungen vorgenommen, um exakt das bestehende Problem zu lösen. Durch die Dokumentation und der Information aller Teammitglieder über das Problem, lernt das Unternehmen ähnliche Fehler schneller zu erkennen und nachhaltig zu bewältigen .
Heutige Losung: „Arbeiten mit dem System!“
Das System selbst kann man als Baugruppe miteinander verbundener Elemente, die miteinander agieren, sehen. Die typisch reduktionistisch-wissenschaftliche Sichtweise, die intuitiv bei der Analyse des Systems angewandt wird, legt den Schwerpunkt auf die einzelnen Strukturen und Elemente des Systems. Mit einer weiterführenden Analyse, gelangt man allmählich zu der Erkenntnis, dass das System sein Verhalten selbst verursacht . Dies bedeutet, dass man ein System nur beeinflussen kann, wenn man mit dem System arbeitet und nicht gegen das System.
Da die Elemente, die das System beeinflussen, dem Team oder dem Unternehmen oft nicht vollständig bekannt sind, ist nicht immer klar, ob mit dem System oder gegen ein wichtiges Element des Systems gearbeitet wird. Wird gegen ein Element gearbeitet, sind für das Unternehmen oft unerklärliche Kräfte am Werk, wenn sich eine Verbesserung oder Verschlechterung des Systems ergibt. Wenn das Unternehmen hingegen lernt die Strukturen und Elemente wahrzunehmen, in denen sich das System bewegt, befreit es sich allmählich von den zuvor unerkannten Kräften und erlangt schließlich die Fähigkeit produktiv mit diesen Strukturen und Elementen zu arbeiten und sie wunschgemäß zu verändern . Wenn dies dauerhaft und im kompletten Unternehmen durchgeführt werden kann, ist das Unternehmen in der Lage einen Schritt zurückzutreten und das System aus einer anderen Perspektive zu sehen. Neue Potenziale können erkannt und ein Wachstum des Unternehmens kann erzielt werden.