Im letzten Teil habe ich Euch einen Überblick über die Unternehmenskultur gegeben. Nun beschäftigen wir uns mit den Voraussetzungen für eine lernende Organisation. Zunächst gilt es den Ist-Stand zu erkennen und das eigene Verhalten zu reflektieren. Dabei nehme ich mir heraus die Behauptung aufzustellen, dass jeder sein eigenes Verhalten ständig selbst reflektieren muss.
Der Freiraum des Einzelnen
Die Lebensbedingungen der heutigen Gesellschaft unterscheiden sich stark von den Bedingungen der vergangenen Jahrhunderte. In den letzten Jahrzehnten wurde durch diverse industrielle Revolutionen der Lebensstandard erhöht, wodurch sich die Gesellschaft noch schneller veränderte. Nicht nur die durchschnittliche Lebenserwartung ist angestiegen, auch die Lebensumstände haben sich geändert. So sinken die Kosten für die überlebensnotwendigen Lebenshaltungskosten kontinuierlich. Während im Jahr 1970 für Nahrungsmittel und Bekleidung 34,2 Prozent des Einkommens aufgewendet wurde, verringerte sich dieser Wert bis zum Jahr 2017 auf 18,6 Prozent . Hierdurch wurde mehr Freiraum des Einzelnen geschaffen, zur Verwirklichung von Ideen und der Befriedigung von weiteren Bedürfnissen. Diese Senkung der grundlegenden Lebenshaltungskosten konnte durch eine effiziente Nutzung der vorhandenen Ressourcen erreicht werden. Ob durch diese effiziente Nutzung die ethischen oder moralischen Grundsätze immer eingehalten werden, kann in manchen Fällen bezweifelt werden. Vor allem wenn diese durch Ausbeutung von Ressourcen von Dritte-Welt-Ländern erreicht wird. Die Reduktion der Lebenshaltungskosten wurde jedoch durch Lernprozesse erreicht, die in Organisationen kontinuierlich angewandt wurden und im Idealfall ethisch und moralisch vertretbar sind.
Weiterentwicklung oder Flickschusterei?
In Unternehmen wird angestrebt, sich durch lernen aus bestehenden Prozessen weiterzuentwickeln. Die notwendigen Ressourcen sollen minimiert und das Wachstum und der Erfolg maximiert werden. Dies ist auch notwendig, um die schwierigen Rahmenbedingungen einer Unternehmensführung innerhalb einer globalen und somit stark veränderlichen Welt zu händeln. Wachstumsorientierte Unternehmer setzen in diesem Gesichtspunkt auf das Können ihrer Mitarbeiter. Die Mitarbeiter erkennen die akuten technischen und kulturellen Probleme und lösen diese, um das Unternehmen voranzubringen. Die Gefahr besteht jedoch, dass durch eine Problemabstraktion diese verharmlost werden und nur einfache, augenfällige Ursache-Wirkungs-Ketten erkannt werden. Diese Ursache-Wirkungs-Ketten führen zu einer Suche nach schnellen Patentrezepten für die Lösung des Problems. Der aus der Automotive-Industrie stammende Projektleiter John Manoogian bezeichnet diese als Flickschuster-Mentalität, welche zu einem Strom von kurzfristigen Lösungen führt, die die Probleme scheinbar zum Verschwinden bringen. Das Resultat dieser Flickschusterei ist jedoch, dass die gleichen Probleme immer wiederkommen und wieder mit schnellen Patentrezepten gelöst werden. Somit wird das Flickschustern zur Lebensaufgabe .
In dieser Disziplin des schnellen und nicht nachhaltigen Problemlösens lernt der geübte Manager aus der Vergangenheit und wird zuweilen zum Virtuosen im Problemlösen. Da die Fragestellungen, die mit dieser Mentalität gelöst werden, wiederkehrende Probleme sind, wird ein Kreislauf erzeugt, der oftmals nur durchbrochen werden kann, wenn das Problem mit einigem Abstand betrachtet wird.
Ein Blick aus der Ferne zeigt Hebel auf
Durch den Abstand können Probleme aus einem anderen Kontext analysiert werden, was dazu führen kann, dass ein kleiner Eingriff zu einer starken Hebelwirkung und somit zu einer dauerhaften Lösung führt. Da diese Hebeleingriffe oft nicht in räumlicher oder zeitlicher Nähe des Problemsymptoms liegen, nehmen die meisten Angehörigen dieses Systems, in welchem das Problem besteht, diese Hebeleingriffe als besonders fernliegend für die Problemlösung wahr . Sie halten diese Herangehensweise als „neu“ im Vergleich zu dem vorherrschenden Wissen oder den geltenden Normen im Unternehmen und sehen diese im eher negativen Sinn kritisch. Um den Managern zu helfen, kann eine allgemeine Theorie über die Abweichung vom Herkömmlichen zur Klärung einer Theorie des Neuen beitragen .
Dieses Umdenken, weg vom Herkömmlichen und hin zum größeren Systemdenken, ist nicht immer populär, da diese Systemlösungen mit einem hohen kommunikativen Aufwand verbunden sind und somit viel Zeit in Anspruch nehmen. Manager, die bezahlt werden um kurzfristig die Kohlen aus dem Feuer zu holen, sehen unter Umständen keinen persönlichen Mehrwert in diesem Vorgehen, da die Lösung stark zeitlich versetzt sein kann. Es werden vorrangig tief verwurzelte Managementsysteme von den Managern verwendet, um das Problem zu kategorisieren und gewaltsam mithilfe dieser Systeme schnell zu lösen.
Managementsysteme
Einen kritischen Blick auf diese Managementsysteme stellten Booth Sweeney, Senge und Wagner im Rahmen eines Workshops vor. Sie erarbeiteten eine Liste mit den stereotypischen Eigenschaften von Managementsystemen:
- Managementmessgrößen
- Fokussierung auf kurzfristige Messgrößen
- Abwertung von immateriellen Unternehmenskennzahlen
- Problemlösungsmanagement
- technische Problemlösung steht im Vordergrund
- divergierende (systemische) Probleme werden ignoriert
- Corporate Identity
- Vielfalt ist ein Problem, das behoben werden muss
- Konflikt wird unterdrückt, zugunsten oberflächlicher Einigkeit
- Kommunikationsmanagement
- Fragmentierung von Kommunikation
- lokale Innovationen breiten sich nicht aus
Diese dargestellten Eigenschaften können eine Denkbarriere bilden, welche ein Umdenken innerhalb einer Organisation erschwert oder unmöglich macht. Es wird eine Wirklichkeit konstruiert, die von manchen als Axiom angesehen wird und so in das organisationsindividuelle Managementhandbuch übernommen wird. Innovativ orientierte Manager sehen diese sicheren, berechenbaren, leichter zu planenden Problemlösungsprozesse als so fest verwurzelt an, dass sie daran zweifeln, dass das Unternehmen überhaupt noch zu grundlegenden Innovationen fähig ist .
Unwritten Rules
Innerhalb einer Organisation können unterschiedliche Wirklichkeitskonstruktionen erkannt werden. Die organisatorischen Handlungsmöglichkeiten werden durch gemeinsam geteilte Wirklichkeitskonstruktionen des Unternehmens und den vorherrschenden Bedingungen bestimmt. Kundenorientiertes Handeln setzt z. B. ein Einfühlen in den Kunden und somit ein kundenorientiertes Denken aller Mitarbeiter voraus. Diese kundenorientierte und oft ungeschriebene Regel ist ein eher positives Beispiel für die Handlungsmöglichkeiten eines Unternehmens.
Weitverbreitete »Unwritten Rules« wie „Haben wir alles schon gehabt“ oder „Erst mal beim anderen optimieren“ beschreiben Handlungsmöglichkeiten, die entgegen heute gewünschten Ansätzen wie „Aus Fehlern kann man lernen“ oder „Synergie at work“ sprechen. Um aus diesen weitverbreiteten Wirklichkeitskonstruktionen auszubrechen und neue Wege zu gehen ist es ratsam, die Dimensionen unserer individuellen Handlungsmaxime und ungeschriebenen Denkmuster sichtbar zu machen. Somit können Denkprozesse initiiert, Regelkreise veranschaulicht und Variablen sowie Ansatzpunkte für Interventionen erkannt werden.
Diese neuen Denkrahmen können einen hochexplosiven Sprengstoff darstellen, der die Veränderung beflügeln kann. Vor allem wenn es keine Zusammenarbeit oder ein hohes Konkurrenzdenken innerhalb der Organisationsebenen gibt, ist anzunehmen, dass die Auswirkungen dieser Denkmuster einen hohen Einfluss haben.
Das Erkennen der Wirklichkeit
Die tatsächliche, gemeinsame Erschaffung und Übermittlung eines neuen, sinnvollen Rahmens der Wirklichkeit ist eine zentrale Erfolgsgröße der Zukunftsfähigkeit innerhalb eines Unternehmens. Es geht jedoch nicht darum, anderen eine bestimmte Konstruktion von Wirklichkeit aufzudrängen, sondern den Blick für weitere Möglichkeiten des Denkens zu weiten . Nach dieser Intelligenz streben Organisationen, indem sie nach Ihren Wahrnehmungen der beobachteten Ergebnisse die Prozesse modifizieren. Sie lernen durch unreflektierte Mechanismen, bei denen erfolgreiche Handlungen oder Routinen einfach wiederholt werden, um Erfahrung aufzubauen. Aber auch durch reflektierende Mechanismen, die zur Entwicklung von Theorien oder Modellen beitragen. Diese Mechanismen führen vor allem zu spürbaren Verbesserungen in Bereichen mit relativ geringer Komplexität. In selten wiederkehrenden Situationen, die komplexe Kausalbeziehungen aufweisen, ist Erfahrung jedoch keine gute Lehrmeisterin. Verlässliche und klare Grundlagen für eine Leistungsverbesserung werden nicht durch einmalige Situationen geschaffen. Im Allgemeinen erfordert das Lernen Experimente, um langfristig effektiv weniger komplexe Prozesse zu beherrschen, aber auch um festzustellen, dass komplexe Themen oftmals nicht mit Patentlösungen beherrscht werden können .
Das kritische Lernen in jeder Ebene einer Organisation ist somit ein wichtiger Bestandteil des Erfolgs. Um zukünftige Herausforderungen zu meistern, wird diese Disziplin in den Unternehmen zum Pflichtfach.
„Lernende Organisationen werden in der Lage sein, diese sich abzeichnende Zukunftswelt schöpferisch zu gestalten, anstatt passiv darauf zu reagieren“ .
Diese Organisationen beschäftigen sich aktiv mit den immer komplexer werdenden internen und externen Bedingungen, indem sie versuchen, für die jeweils aktuelle Situation den effektivsten und effizientesten Weg zu wählen.