Für eine Organisationsveränderung hin zu einer lernenden Organisation, ist die Vision ein entscheidender Punkt. In den fünf Disziplinen wird die „shared Vision“ als Engagement fördernd angesehen, in dem sie eine Bild der gemeinsamen Zukunft entwickelt. Doch ist es wirklich so einfach eine Vision aufzustellen, die automatisch zum Erfolg führt? In diesem Artikel richte ich einen kritischen Blick auf die von der lernenden Organisation geforderte gemeinsame Vision.
Die belebende Vision
Jede Veränderung hat ein Ziel, welches erreicht werden soll. Durch die Steuerung der Organisation auf dieses Ziel werden Mehrwert und Zukunftsperspektiven für Unternehmen generiert. Gerade in wenig komplexen Organisationen kann es gelingen, alle Mitglieder der Organisation auf eine gemeinsame Vision und ein gemeinsam erarbeitetes Ziel einzuschwören, um ein Veränderungsprojekt erfolgreich zu realisieren . Auf der Reise hin zu einer lernenden Organisation ist eine Vision, an der sich alle Mitglieder der Organisation orientieren können, unabdingbar. Auch in den fünf Disziplinen der lernenden Organisation wird mit Nachdruck darauf hingewiesen:
„Es gibt keine lernende Organisation ohne eine gemeinsame Vision.“
Visionen wirken belebend und erzeugen den Funken der Begeisterung, der eine Organisation aus dem Profanen herausheben kann und ein Bild schafft, dass es wert ist, erreicht zu werden. Wenn eine Vision gemeinsam erarbeitet wird, besteht die Möglichkeit, dass sich viele Menschen der Organisation dieser annehmen, da sie ihre eigene, persönliche Vision widerspiegelt. Abstrakt ausgedrückt beantwortet eine Vision die Frage: „Was wollen wir wie erschaffen?“. In der gemeinsamen Vision werden die Ziele aus einem tieferen Interesse heraus ernst genommen und erreicht. Mit dem Teilen der Vision und dem Erarbeiten der Ziele, fühlen sich die Organisationsmitglieder einander verbunden und teilen daher ein ähnliches oder sogar das gleiche Bild von der Zukunft .
Die aufgezwungene Vision
In der Praxis werden Visionen jedoch nur selten gemeinsam mit allen Organisationsmitgliedern entwickelt. Vielmehr werden die meisten Organisationsmitglieder bei der Gestaltung einer Vision außen vor gelassen. In der Business Literatur ist die Erstellung der Vision eine klare Aufgabe der Führungsmannschaft . Eine gemeinsame Vision aller Organisationsmitglieder und die daraus resultierende Verbundenheit zur Vision und den Zielen einer Organisation wird demnach nicht von den Mitarbeitern, sondern von einer elitären Riege mit meist hohem Bildungsabschluss und einem Einkommen, welches kaum Wünsche offenlässt, erstellt. Die Werte-Levels dieser Unternehmenselite können sich durch die hohe Stellung von den anderen Organisationsmitgliedern stark unterscheiden. Die Verbundenheit zu dieser erstellten Vision erreicht oft nicht die große Masse der Organisation, sondern vor allem die Angestellten, welche nah an der Führungsmannschaft angesiedelt sind.
Das Erstellen einer Vision
Die Formulierung der Vision ist eine Herausforderung an die Führungsriege, die in der Regel die Vision erstellt. Eine der Haupteigenschaften einer Vision ist die Orientierung, ähnlich eines Leuchtturms, die einem Unternehmen die Zukunft weist und eine Richtung geben soll . Gute Visionen heben folgende Eigenschaften hervor und nutzen diese für den strukturellen Aufbau der Unternehmensvision :
- Fokussiert auf die Zukunft: Beschreibt das große Bild in fünf bis zehn Jahren.
- Richtungsweisend: Die Richtung für innovative Strategien wird vorgegeben.
- Verständlich und klar: Eine Entscheidungsrichtlinie ist gegeben.
- Relevant: Bezieht sich auf das gewünschte Geschäftsfeld des Unternehmens.
- Zweckgetrieben: Stellt heraus, warum die Vision angestrebt wird.
- Wertebasiert: Bezieht Menschen mit ein.
- Herausfordernd: Will den Standard des Unternehmens anheben.
- Einzigartig: Stellt das Besondere des Unternehmens heraus.
- Anschaulich: Gibt ein anschauliches mentales Bild der Unternehmenszukunft.
- Inspirierend: Spricht das Herz und den Kopf des Menschen an.
Jedoch ist es auch mit diesen zehn Vorgaben des strukturellen Aufbaus schwierig, eine gute Vision zu erstellen. Oft tritt zumindest einer dieser folgenden Fehler beim Erstellen einer Vision auf:
- Die Vision hat den Charakter eines Motivationsslogans:
Saloppe Aussagen bringen eher Skepsis als Nachhaltigkeit. - Unternehmenswerte sind nicht in die Vision eingebunden:
Eine Einbindung der Werte gibt Kunden und Mitarbeitern Orientierung. - Die Vision ist unerreichbar:
Unerreichbare Visionen werden nicht ernst genommen. - Die Marktorientierung ist nicht erkennbar:
Aus der Vision lässt sich kein Ziel ableiten.
Visionen müssen dabei nicht aus langen Texten und Statements bestehen. Kurze griffige Slogans reichen oft aus, um ein zustimmendes Kopfnicken zu der Vision zu erreichen:
- Disney: „To make people happy.”
- Wal Mart: „To give ordinary people the opportunity to buy the same things as rich people.”
- Wikipedia: „Stell Dir eine Welt vor, in der jeder einzelne Mensch freien Anteil an der Gesamtheit des Wissens hat.“
In der Praxis sind leider austauschbare Visionen ohne Aussage nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Es drängt sich schnell die Einstellung auf „Kennt man eine, kennt man alle“. Auffällig oft kommt in der Vision folgende Syntax vor: (Google Suche)
„Wir entwickeln intelligente Lösungen für dauerhaftes Wachstum.“
Mitarbeiter, aber auch Kunden sind bei diesen austauschbaren Buzzwords kaum motiviert, das Unternehmen zu unterstützen. Ein Unternehmen, welches Produkte und Lösungen entwickelt und somit lernen muss, um Entwicklungen zu gewährleisten, punktet bei Mitarbeitern nicht mit hohlen Phrasen. Die Motivation Herausforderungen zu meistern, wird bereits mit der Syntax der Vision abgetötet. Die grundlegende Voraussetzung für eine lernende Organisation, sollte jedoch durch die belebende Wirkung und den Funken der Vision aufgestellt werden. Die Führungsriege kann diese Voraussetzung durch eine geeignete, im besten Falle gemeinsame Vision positiv beeinflussen.
Eine Geschichte beflügelt die Vision
Besonders wenn Visionen in Form eines Narratives den Mitgliedern einer Organisation nahegebracht werden, kann diese belebend wirken und beflügeln. Jede sinnstiftende Geschichte setzt ungeheure Energien frei. In der Geschichte sind zahlreiche Beispiele zum Erreichen eines Ziels zu finden, das nur durch eine gut erzählte Geschichte ermöglicht werden konnte. Das von Kennedy frei erfundene, aber brillant formulierte Narrativ vom „Wettlauf zum Mond“ motivierte die USA, genug Geld, Mitarbeiter und Kraft aufzubringen, um das Apollo-Programm zu realisieren und die Vision vom ersten Mann auf dem Mond umzusetzen. Die Geschichte von Ludwig Erhard vom „Wohlstand für alle“, programmierte Deutschland auf einen Wachstumskurs und schaffte soziale Gerechtigkeit. Diese guten Geschichten sind leicht zu merken und gehen sofort ins Gedächtnis, klingen logisch und hören sich bereits beim ersten Mal wie selbstverständlich an. Erfolgreiche Narrative bestehen aus einem ungelösten Problem, den Mut dieses zu erkennen, den Willen es zu lösen, die Kraft ein Ziel zu beschreiben und die Verpflichtung es zu erreichen. Gute, durch ein Narrativ aufgestellte Visionen werden so allgegenwärtig, dass sogar die Anwesenheit des Narratives ausgeblendet wird und die Organisationsmitglieder in einer eigenen revitalisierten Welt leben, um die Vision Realität werden zu lassen .
Die im Narrativ aufgerufenen Werte sind der innere Antrieb der Mitarbeiter, um über ihre eigenen Grenzen zu gehen und den Weg der Vision zu gehen. Der mangelnde Einsatz der Führungsriege, die Werte des Unternehmens und die Werte der Mitarbeiter in eine ansprechende, zukunftsorientierte Vision zu verpacken, selbst wenn diese einem Narrativ entspricht, ist jedoch schädlich für die Veränderung auf den Weg zu einer lernenden Organisation. Mit einer schlechten, gleich klingenden und fast schon demotivierenden Vision ist es schwer adäquate Ziele zu definieren, die als greifbar gelten. Die Ziele sind das Verbindungselement für Mitarbeiter zur Vision, die nicht sofort auf die narrative Visionsdarstellung reagieren und Ziele als Ankerpunkt für den nächsten Wegabschnitt benötigen.
Ziele als Wegmarken
Das Ziel als einen Punkt, an dem sich das Unternehmen oder auch der Einzelne entlanghangeln kann zu sehen, um einen weiteren Schritt zur leuchtenden Vision zu gehen, ist nicht immer einfach. Die Definition eines Zieles für ein Unternehmen mag ein leichter Schritt sein, wenn die Werte der Mitarbeiter unberücksichtigt bleiben.
Unternehmensziele beziehen sich typischerweise auf Gewinn, Wachstum, Marktstellung oder Know-how. Unter Gewinn ist oft die Rentabilität, also Gewinn in Beziehung zu Umsatz, zu sehen. Das Wachstum wird häufig mit Umsatz gleichgesetzt. Die Marktstellung wird anhand der Marktanteile gemessen. In das Know-how fließt die Qualität oder auch die Anzahl der angebotenen Produkte ein .
Das einzelne Organisationsmitglied kann selten eines dieser Ziele direkt beeinflussen. Sicherlich kann der Fließbandarbeiter durch gewissenhaftes Arbeiten die Qualität des Produktes einhalten, einen Einfluss auf den Umsatz hat dieser jedoch kaum. Hier kommt der Vertrieb ins Spiel, der einen hohen Einfluss auf den Umsatz, jedoch nur einen geringen Einfluss auf die Qualität des Produkts hat. Die große Masse der Organisationsmitglieder bekommt daher oft individuelle SMARTE Ziele, welche zum großen Ganzen beitragen sollen. Das Akronym SMART ist als Abkürzung für die Begriffe »spezifisch«, »messbar«, »attraktiv«, »realistisch« und »terminiert« zu verstehen. In der Literatur tauchen aber auch andere Begrifflichkeiten für das Akronym auf. Die individuellen Ziele sollten so strukturiert und formuliert sein, dass alle diese Elemente zur Definition des Ziels beitragen. Die Richtung, die dieses erstellte Ziel vorgibt, trägt idealerweise dazu bei, dass die Unternehmensziele erreicht werden können.
In der Praxis ist eine geeignete Definition der Ziele jedoch nicht immer gegeben. Eine Führungskraft, welche bis zu 25 Mitarbeiter unter sich hat, ist oft überfordert eine zeitraubende individuelle Zieldefinition vorzunehmen. Das Resultat sind Ziele, die nicht alle Elemente von SMART aufweisen oder so allgemein gestellt sind, dass es quasi egal ist ob das Ziel erreicht wird. Die Motivation diese Art von Zielen zu erreichen ist eher schwach ausgeprägt bei den einzelnen Organisationsmitgliedern. Dies zeigt auch eine Studie der Deutschen Gesellschaft für Projektmanagement, welche eine unklare Zieldefinition, hinter Kommunikationsschwierigkeiten, auf Platz zwei der Gründe warum ein Projekt scheitert, stellt .
Zielstrebigkeit nur bis zum nächsten Notfall
Eine mangelnde Zielstrebigkeit bei der Umsetzung des Ziels, eine lernende Organisation zu schaffen, ist ein Grund für das Scheitern des Veränderungsprojekts. Vor allem in kleinen und mittelständischen Unternehmen werden Organisationsveränderungen nur mit begrenzten Ressourcen durchgeführt. Mitarbeiter, welche die lernende Organisation einführen sollen, werden bei Notfällen in einzelne Arbeitsbereiche abgezogen, um schnell und effizient Probleme zu lösen. Der Aufbau einer lernenden Organisation wird bis zu dem kurzen Zeitraum zwischen der Behebung des ersten Notfalls und einer neuen Alarmierung verschoben. Der verblüffend einfache Ansatz, mangelnde Zielstrebigkeit mit einem konsequenteren Handeln zu beheben, wird nicht nur von den unteren Riegen einer Organisation ignoriert, auch Manager machen es sich mittlerweile einfach. Sie führen das Scheitern von Maßnahmen einfach auf eine mangelnde Entschlossenheit seitens der Belegschaft zurück .
Zwar kennen nach einer Asana Studie 78 Prozent der Belegschaft ohne Führungsfunktion die Unternehmensziele, gleichzeitig zeigt dieselbe Studie jedoch, dass 52 Prozent der Belegschaft ohne Führungsfunktion den Zweck ihrer Arbeit für die Erreichung der Unternehmensziele nicht kennen . Eine mangelnde Entschlossenheit der Belegschaft ist daher auch auf mangelnde Informationen der Führungsriege bezüglich des Verhältnisses der gerade anstehenden Arbeitspakete zu den Unternehmenszielen zurückzuführen.
Das Verweigern von Informationen zur Aufgabenerfüllung ist nicht neu. Das Erzeugen von Halbwissen kann eine Strategie sein, um die eigene Unsicherheit zu überspielen. Allerdings kann dieses Halbwissen für den Einzelnen auch Komplexität aus einer Fragestellung oder einem Problem nehmen:
„Das Halbwissen ist siegreicher, als das Ganzwissen: es kennt die Dinge einfacher, als sie sind, und macht daher eine Meinung fasslicher und überzeugender“ .
Dieses Halbwissen wird teilweise gezielt den Mitarbeitern weitergegeben, um schnell und unklar die Ziele mit viel Spielraum weiterzugeben. Dies widerspricht jedoch der Auffassung der fünf Disziplinen, eine lernende Organisation durch klare Ziele zukunftsfähig zu machen und den Einzelnen zu motivieren.
Das Unternehmensziel als „Blocking Point“
Eine Organisation, die auf Gedeih und Verderb Ziele aufstellt, kommuniziert und diese auch einhalten will, kann jedoch auch Nachteile im Vergleich zu den Wettbewerbern haben. Einen Kurs mittels Ziele in unbekannte Gewässer zu setzen, ist nach Mintzberg der perfekte Weg, mit einem Eisberg zu kollidieren . Daher ist es sinnvoll, den Eisberg bzw. das Hindernis zu umfahren und die Ziele anzupassen. In turbulenten Zeiten oder bei der Strategiefindung kann es eine sinnvolle Taktik sein, auf eine strategische Planung zu verzichten. Mit einem unklaren Leitbild und einem undeutlichen Ziel ist ein Unternehmen in der Lage, auf Umweltveränderungen schnell zu reagieren und die Strategie anzupassen . Jedoch geben nur 30 Prozent einer Unternehmensbelegschaft ohne Führungsfunktion an, dass es für sie keine Auswirkungen hat, wenn die Unternehmensziele unklar definiert sind. Eine deutliche Mehrheit meint, dass sie motivierter, engagierter und produktiver mit klaren Unternehmenszielen ihren Arbeitsalltag bewältigen .
Es herrscht daher ein Zwiespalt zwischen einer gewollten Flexibilität der Unternehmensführung und den benötigten Zieldefinitionen der Belegschaft. Das Aufstellen einer gemeinsamen Vision und gemeinsamer Ziele ist durch diesen Zwist schwierig zu realisieren.
Fazit
In einem Veränderungsprojekt, welches die Bindung der Mitarbeiter intensivieren und ein gemeinsames Lernen fördern soll, muss die Bereitschaft der Geschäftsführung vorhanden sein, den Veränderungsprozess wirklich anzustoßen und langfristig zu verfolgen. Ein kurzfristiges Schönwetterprojekt zur Organisationsveränderung, welches je nach Bedarf verschoben wird, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt . Freie Ressourcen, um die Vision und die Ziele verständlich und motivierend den Mitarbeitern näherzubringen sind notwendig, um die kommunikativen Aufgaben bei der Visionsübermittlung zu erfüllen. Ebenso müssen die Manager und Führungskräfte fähig und willig für die Erstellung einer Vision sein.