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Der Mythos: Flexibilität des Mitarbeiters durch Selbstführung (Teil 11)

Lesedauer: 5 Minuten

Die ungenutzte Flexibilität in Unternehmen geht oft einher mit einem eingeschränkten Freiraum der Mitarbeiter. Durch den Preiskampf im globalen Wettbewerb werden Mitarbeiter in Organisationen eher als Ressource bezeichnet, als dass diese es verdienen Mitarbeiter oder Mensch genannt zu werden. In der Theorie sollen diese Ressourcen dem Unternehmen mehr Flexibilität verschaffen und die Einführung einer lernenden Organisation erleichtern.

Ressource Mensch

In gängigen Planungstools und in der betriebswirtschaftlichen Literatur wird die Ressource Mensch häufig aufgegriffen und so in die Kommunikation des Unternehmens fest verankert. Der Mitarbeiter wird als Ressource gleichgesetzt mit Werkzeugmaschinen, IT-Systemen, Immobilien und vieles mehr. In der Ökonomie wird daher, genauso wie bei Werkzeugmaschinen versucht, den Menschen vollständig auszulasten und Stillstandszeiten zu vermeiden. Besteht die Möglichkeit den Mitarbeiter zu substituieren, wird dieser aus ökonomischen und wirtschaftlichen Gründen zugunsten einer Arbeitsmaschine oder eines Computerprogramms, anderweitig eingesetzt oder entlassen.

Der Begriff Ressource, den Jay Barney mit den vier Bedingungen [1] wertvoll, [2] knapp, [3] nicht limitierbar und [4] nicht substituierbar beschreibt, ist allein wegen der Substituierbarkeit bei vielen Mitarbeitern einer Organisation nicht anwendbar. Dennoch werden die Organisationsmitglieder wie Maschinen eingeplant und zur Leistungssteigerung, ähnlich wie die Weiterentwicklung von technischen Geräten, angehalten. Dies bestätigt auch eine Aussage von Teamleitern aus der Textilbranche, dass vor ca. 5 Jahren noch 3-4 große Aufgaben pro Woche bearbeitet wurden. Heute ist es dagegen bereits normal, bis zu 200 Einzelaufgaben pro Woche zu bearbeiten .

Die Ressourceneinplanung

Mit einer straffen Planung, ähnlich wie bei Produktionsmaschinen, und den vielen Einzelaufgaben wird der Freiraum um eigene Ideen zu entwickeln eingeschränkt oder sogar unmöglich für den Mitarbeiter. Die zusätzliche Einführung einer Organisationsveränderung bei dieser engen Planung erzeugt einen erhöhten Stressfaktor. Unternehmen, die stark unter Kostendruck arbeiten, haben bereits eine minimale Anzahl an Mitarbeitern. Diese können den erhöhten Stress durch eine Veränderung als zusätzliche Belastung empfinden und sich gegen die Veränderung stemmen. Werden die Kontrollen der Arbeitszeit und Arbeitsergebnisse erhöht, um festzustellen ob weiterer Ressourcen eingespart werden können, fordert man die Mitarbeiter indirekt heraus, diese Kontrollen zu umgehen. Die Mitarbeiter wollen in diesen Fällen bewusst oder auch unterbewusst zeigen, dass sie klüger sind als das Management . Das Resultat ist wiederum eine Blockade der durch das Management geplanten Veränderung hin zu einer lernenden Organisation

Selbstführung als Mittel zur persönlichen Flexibilität

Die Forderung nach »Personal Mastery«, also der Selbstführung in einer lernenden Organisation, soll den Mitarbeiter dazu ermutigen sich selbst zu führen und zu kontrollieren. Dabei werden die Aufgaben, die der Einzelne erfüllen soll, nicht weniger. In der Vorstellung einer Selbstführung, weiß der Mitarbeiter von sich aus, welche Arbeit zu tun ist, motiviert sich selbst, löst seine Konflikte alleine und eignet sich, wenn dies erforderlich ist, neues Wissen an. In dieser Idealvorstellung nimmt der Mitarbeiter die Führungsaufgaben selbst wahr und erfüllt sowohl die Unterstützungsfunktion sowie die Kontrollfunktion mittels Selbstdisziplinierung .

Die Möglichkeiten des Mitarbeiters sind begrenzt. Er kann durch die Selbstorganisation zwar seine Arbeitsweise und die Art der Arbeitsausführung beeinflussen, jedoch bleiben alle Aufgaben weiterhin bestehen. Das Managen der Arbeitsaufgaben kommt nun zusätzlich zur Arbeitsausführung hinzu und wird unter Umständen in den individuellen Zielvereinbarungen aufgegriffen. Der Zwang, die Arbeitsaufgaben zu managen und gleichzeitig alle anfallenden Aufgaben zu erfüllen, führt zu einer zusätzlichen Komplexität im Arbeitsalltag.

Auf Komplexität reagieren die Menschen jedoch unterschiedlich. Der Netzwerkforscher Prof. Dr. Peter Kruse erklärt vier Varianten, wie Menschen in Unternehmen auf Komplexität reagieren. Die erste Methode auf Komplexität zu reagieren, ist die Trial and Error Methode. Bei dieser Methode wird zunächst ausprobiert, ob derjenige mit der Komplexität umgehen kann. Wenn dies mehrmals nicht möglich ist, wird die neue Aufgabe oder der Prozess nicht angenommen oder verworfen. In der nächsten Reaktion wird die Komplexität vom Mitarbeiter einfach ausgeblendet und verdrängt. Es wird weiterhin in alten Mustern und Prozessen verharrt. Das Neue bzw. der Fortschritt wird bei fast völligem Desinteresse ausgebremst. Dieses Verhalten ist häufig bei langjährigen unveränderten Mustern und Prozessen in Unternehmen erkennbar, aber auch bei einigen Teilen der älteren Generation, die neue technologische Entwicklungen und die Vielfalt, die z. B. Medien wie das Internet bieten, nicht wahr haben wollen. Es wird erwartet, dass das Neue nur eine Modeerscheinung ist, die von selbst wieder vergeht. In der dritten Reaktion auf Komplexität versucht der Betroffene, die komplexen Umstände zu verstehen und zu durchdringen. Durch das Erstellen von Kochrezepten, Checklisten und der Einführung eines Zeitmanagements wird versucht, die komplexen neuen Aufgaben und Prozesse zu simplifizieren. Als letzte der vier Reaktionen von Menschen auf Komplexität deklariert Kruse die emotionale Bewertung. Die Mitarbeiter, die diese Methode anwenden können, agieren in komplexen Situationen intuitiv richtig. Die Fähigkeit der Mustererkennung und Musterbildung dieser Mitarbeiter erleichtert die Analyse, die Umsetzung und das Verstehen der Prozesse .

Die beiden ersten Varianten von Komplexität sind für eine Selbstführung eher ungeeignet. Die ideale, vierte Variante kommt in der Praxis nur selten in den Rängen der Arbeiterschaft vor, da die Musterbildung als Eigenschaft von Managern angesehen werden kann. Die dritte Reaktion auf Komplexität ist diejenige, die von der Führungsriege erwartet wird, wenn Selbstführung in einem Unternehmen als Leitbild eingeführt wird. Wie viele Mitarbeiter in einem Unternehmen zur Gruppe der Mitarbeiter gehören, die die Prozesse durchdringen und diese sich zu eigen machen, ist nicht bekannt. Es ist jedoch zu erwarten, dass in Unternehmen auch die nicht ganz erwünschten ersten beiden Varianten auftreten. Das Gefühl, den eigenen Freiraum zu verlieren, wenn das Unternehmen den Zwang zur Selbstführung einführt, kann in diesen Fällen häufiger auftreten.

Mehr Freiraum durch mehr Aufgaben?

Die Reaktionen auf die Steigerung der Aufgabenanzahl und der Einführung des Personal Mastery sind differenziert. Während die einen sich herausgefordert und gebraucht fühlen, reagieren andere abweisend auf die Einführung dieser veränderten Anforderungen. Es kann demnach in einem bestehenden Unternehmen kein einheitliches Vorgehen angewandt werden. Ein Teil der Mitarbeiter muss geführt, ermutigt und bei der Aufgabeneinteilung unterstützt werden. Ein anderer Teil begrüßt die Freiheit einer Selbstführung. Die Bewertung des Mitarbeiters und die damit verbundenen monetären Auswirkungen, sind schwierig für ein Unternehmen und der entsprechenden Führungskraft. Sehr gute Mitarbeiter müssen nicht zwingend gut in der Selbstführung sein und umgekehrt. Wird zudem die Personaldichte notorisch niedrig gehalten, ist eine Überforderung und die einhergehende Verweigerung zur Einführung einer lernenden Organisation vorherzusehen.

Ein Umdenken in Unternehmen findet jedoch bereits statt. So werben und arbeiten große Firmen wie Apple, Google, Tesla und IBM mit dem Slack der entsteht, wenn Mitarbeiter nicht am Arbeitsplatz im Akkord arbeiten. Mit dem Slack bzw. durch informelle Aktivitäten wie Entspannungsecken, gemütliche Kaffeeecken, Tischfußball oder einem integrierten Sportprogramm werden die Mitarbeiter dazu angehalten, den Kopf freizubekommen, sich mit Kollegen auszutauschen und so effizienter zu Arbeiten und offen für Neues zu sein.

Quellen:

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